Couch oder Kaufhaus?

Die Aussichten für den stationären Handel sind trübe – nicht nur wegen Corona. Wie sich die Innenstädte künftig entwickeln, können Verbraucher aber beeinflussen.
Illustration: Itziar Barrios
Illustration: Itziar Barrios
Lars Klaaßen Redaktion

Der UN-Klimagipfel in Glasgow ist gerade vorüber. Bisher waren neue Ziele immer in größeren Zeitabständen geplant. Doch schon 2022 sollen die Staaten ihre bislang unzureichenden Pläne für dieses Jahrzehnt nachgebessert haben. Bereits Im November 2022 wird auf der nächsten Konferenz in Scharm el-Scheich in Ägypten nachgelegt. Der eng gesteckte Zeitplan unterstreicht die Dringlichkeit im Klimaschutz. Kurz vor Weihnachten stellen viele sich nun die Frage, wie sie ihrem Konsum möglichst umweltverträglich frönen können – auch 2022 und darüber hinaus: ab in die Kaufhäuser und Boutiquen (solange dies angesichts der vierten Welle noch möglich ist) oder lieber online shoppen?

Im vergangenen Jahr setzte der Einzelhandel in Deutschland rund 577,4 Milliarden Euro um. Der Online-Handel erhöhte seine Umsätze um etwa 23 Prozent auf knapp 72,8 Milliarden Euro. Der Anteil des stationären Einzelhandels ist mit 504,6 Milliarden Euro zwar noch deutlich größer, wuchs aber im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 3,6 Prozent. Dieser Trend ist langfristig und wird den Handel verändern – aber macht er Konsum umweltfreundlicher?

Das Umweltbundesamt (UBA) hat sich diesem Thema mit der zweiteiligen Studie „Die Ökologisierung des Onlinehandels“ gewidmet, die im Dezember 2020 und im September dieses Jahres veröffentlich worden ist. Ob nun der Online-Versand oder der Besuch im Ladengeschäft mit Blick auf den CO2-Fußabdruck besser abschneiden, hängt der Studie zufolge nicht zuletzt von den Käuferinnen und Käufern ab: Wie weit ist der Weg zum Einzelhandel, wird er mit dem Auto, dem Fahrrad, Bus oder Bahn zurückgelegt? Das UBA hat unterschiedliche Einkaufvarianten miteinander verglichen – stationär und online.

„Die CO2-Emissionen einer Autofahrt von fünf Kilometern liegen durchschnittlich schon bei 600 bis 1.100 Gramm CO2, die Zustellung eines Pakets liegt im schlechtesten Fall nur bei 400 Gramm“, erläutert UBA-Expertin Lisa Frien-Kossolobow. Der Lieferwagen schneidet aufgrund der höheren Auslastung besser ab. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß emittiert man zwar unschlagbare null Gramm CO2 – andererseits: „Die Stromverbräuche und Heizenergie bei einem Ladengeschäft sind höher als bei einem Lager“, so Frien-Kossolobow, „deshalb kann insgesamt der Onlinehandel oft effizienter sein.“

Je effizienter die Lieferrouten gestaltet sind und je mehr Elektrofahrzeuge zum Einsatz kommen, desto besser die Bilanz des Versandhandels. „Die wichtigsten Klimaschutz-Stellschrauben im stationären Handel sind die Energieverbräuche vor Ort und die Wahl des Verkehrsmittels der Kundinnen und Kunden“, so eine Erkenntnis der Studie. „Umweltbelastende Faktoren im Online-Handel sind dafür die Versandverpackungsabfälle und der Lieferabschnitt bis zur Haustür, die sogenannte ‚letzte Meile‘.“

Weil die Konkurrenz um Straßenraum in den Großstädten immer härter wird, die Fahrer der Lieferwagen nicht durchkommen und keine Stellplätze finden, sieht man zunehmend auch Lastenräder im Einsatz. So nutzen seit Januar 2021 DHL, UPS, Hermes und Rewe in Hamburg für Teile ihrer Lieferverkehre ein in der Innenstadt neu errichtetes „Mikrodepot“, Prototyp für ein neues Logistikkonzept. Hier kommen dann jeweils per Lieferwagen die Sendungen der Projektpartner an und werden zwischengelagert, bevor die Feinverteilung zum Kunden mit Lastenrädern der vier Dienstleister erfolgt. Das Ziel: Der innerstädtische Gesamtverkehr soll entlastet und gleichzeitig Emissionen reduziert werden.

Wie die online bestellte Ware geliefert wird, ist beim Kauf in der Regel nicht ersichtlich. Konsumentinnen und Konsumenten können aber auch selbst einiges dafür tun, dass ihr CO2-Fußabdruck geringer wird. Wer die Standardzustellung wählt, bekommt sein Paket in einem optimal ausgelasteten Lkw transportiert. Oder andersherum: Je schneller die Ware zu Hause sein soll, desto größer der Aufwand und damit der CO2-Ausstoß – mal abgesehen von den eigenen Kosten. Unnötige Lieferwege sollten generell vermieden werden. Umso besser, wenn man das Paket direkt beim ersten Versuch vom Zusteller entgegennehmen kann – oder der Nachbar es in Empfang nimmt. Zurückgeschickt werden sollte die Ware auch nicht, da sich die Transportbilanz mit jedem Weg dramatisch verschlechtert.

Die Forschungsstelle Retourenmanagement der Uni Bamberg hat einmal hochgerechnet, was eine Pauschale für Retouren im Onlinehandel bewirken könnte. Grundlage waren drei Euro für jedes zurückgeschickte Paket. Gut jeder sechste Artikel würde nach Berechnungen der Forscher dann nicht mehr zurückgesendet. Insgesamt wären das 80 Millionen weniger Retouren pro Jahr. Damit würden umgerechnet rund 40.000 Tonnen CO2 weniger emittiert.

 

„Wie kann man dem Konsum mnöglichst umweltverträglich frönen?“

 

Doch der Anteil von Handel und Transport erreicht nur zwischen einem und zehn Prozent an den Gesamtemissionen eines Produkts, wie die UBA-Studie festgestellt hat. Bis zu drei Viertel der Treibhausgas-Emissionen im Lebenszyklus eines Produkts entstehen bereits bei der Herstellung.

„Deshalb sollte ich beim Kauf lieber auf Qualität gucken, auch auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit“, sagt Frien-Kossolobow. „Leider ist das tatsächlich gerade online nicht so einfach.“ Siegel, wie der Blaue Engel zum Beispiel, sind nicht immer gut abgebildet. Auch andere Informationen über Langlebigkeit oder Reparierbarkeit fehlen oft. Hier, so die UBA-Expertin, könne die Politik nachbessern und eine Aussagepflicht zur Herstellergarantie einführen – oder auch Kenngrößen zur durchschnittlichen Lebensdauer. Onlinehändler und Preisvergleichsportale hätten auch jetzt schon die Möglichkeit, Siegel gut einzubinden, um potenzielle Kundschaft besser zu informieren. Vor allem aber kann man sich selbst vor jedem Kauf die Frage stellen, ob es denn überhaupt etwas Neues sein soll. Es gibt eine Reihe von klimafreundlicheren Alternativen: Werkzeug beim Nachbarn leihen; Klamotten mit Freunden tauschen – oder online; den kaputten Toaster reparieren (lassen) oder ein gebrauchtes Gerät kaufen.

Eine ganz andere Frage lautet: Was wird aus den Innenstädten, wenn wir alle häufiger online einkaufen statt im Laden – oder generell weniger konsumieren? Wie bei Fragen des persönlichen Verbrauchs, ist auch hier Fantasie gefragt. Sind die urbanen Zentren durch die immer selben Ketten von Aldi bis Zara nicht ohnehin austauschbar und langweilig geworden? Die Vielfalt der Metropolen definiert sich nicht allein durch Konsum. Wo die ewig gleichen Shopping-Angebote sich zurückziehen, können kulturelle und soziale Projekte Spielräume finden und pulsierendes Miteinander um neue Facetten bereichern. Klimaschutz und Kulturwandel Hand in Hand: Für 2022 sind das genau die richtigen guten Vorsätze.

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