Grüner Wandel

Die Europäische Union hat mit dem Green Deal das Ziel ausgegeben, bis 2050 klimaneutral zu werden. Gerade in der Industrie gibt es dafür noch viel zu tun.
Illustration: Iza Bułeczka
Illustration: Iza Bułeczka
Lars Klaaßen Redaktion

Das zentrale Ziel des in Brüssel initiierten „Green Deal“ lautet: Bis 2050 soll die Europäische Union (EU) klimaneu-tral sein. „Es ist fast schon tragisch“, kommentiert Greenpeace. „Derzeit schlagen Politiker:innen Klimaziele vor, von denen Umweltschützer:innen vor zehn Jahren kaum zu träumen gewagt haben – und doch reichen sie nicht.“ Um die Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müsste die Agenda laut der Umweltschutzorganisation ehrgeiziger ausfallen.

Was den einen nicht weit genug geht, erscheint den anderen als große Herausforderung. So gibt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu bedenken, dass die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft massive Investitionen erfordere: „Kosten entstehen vor allem in der Industrie.“ Die EU wiederum weist darauf hin, dass ihre umweltpolitische Agenda gerade in ökonomischer Hinsicht neue Wege eröffne: „Der europäische Green Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie“, betont Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. „Er wird es uns ermöglichen, die Emissionen zu senken und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen.“

Eine integrierte Klima- und Industriestrategie ist für den Klimaschutz von zentraler Bedeutung. Auf die Produktion in der EU und weltweit entfallen rund 20 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen, Dreiviertel davon in der EU auf Erzeugung und den Verbrauch von Energien. Aber auch an anderen Punkten gibt es noch einiges zu tun. So verwendet die europäische Industrie nur bis zu zwölf Prozent recycelte Materialien. Ein zentrales Ziel der EU ist damit gesetzt: die Entwicklung neuer Märkte für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte voranzutreiben. Die Dekarbonisierung und Modernisierung energieintensiver Branchen wie Stahl- und Zementindustrie sind dabei von entscheidender Bedeutung. Bei der Modernisierung und bei der Ausschöpfung der Möglichkeiten benötigen Unternehmen auf nationaler und globaler Ebene Unterstützung. Diese stellt die EU neben gesetzlichen Vorgaben in Aussicht, damit europäische Akteure im Bereich saubere Produkte und Technologien weltweit führend werden.

Ein enorm wichtiger Bereich auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Energiewende, weg von fossilen Quellen, hin zu den Erneuerbaren wie etwa Wind oder Sonne. Das heißt: Ein Großteil unseres Energiesystems wird künftig elektrisiert. Mit Blick darauf meldet schon allein die Chemie für sich einen Strombedarf von 628 Terawattstunden an, um 2050 klimaneutral zu werden. Das wäre das Niveau der gesamten heutigen Stromproduktion in Deutschland. Die einheimische Erzeugung von Wind- und Solarenergie wird den künftigen Bedarf nicht decken können. Wasserstoff bekommt hier eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende. Denn er ermöglicht es, mit Hilfe erneuerbarer Energien die CO2-Emissionen vor allem in Industrie und Verkehr deutlich zu verringern. Der vielfältig einsetzbare Energieträger kann zum Beispiel mithilfe von Brennstoffzellen Fahrzeuge antreiben und künftig als Basis für synthetische Kraft- und Brennstoffe genutzt werden. Wasserstoff kann erneuerbare Energien flexibel speichern und einen Beitrag zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage leisten. In diesem Sommer hat die Bundesregierung im Rahmen des EU-Fahrplans eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen, die dies auf den Weg bringen soll.

„Obwohl das Bewusstsein für eine strategischere Ausrichtung in der Industriepolitik stark gewachsen ist, greifen die bestehenden Ansätze und Überlegungen noch zu kurz“, mahnt Manfred Fischedick, Leiter der Abteilung Zukünftige Energie- und Indus-triesysteme am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. „Die dringend erforderliche integrativere Verbindung zwischen der Industrie-, Energie- und Klimapolitik wurde bisher noch nicht hinreichend berücksichtigt.“ Damit der Transformationsprozess auf den relevanten Ebenen gelinge, müssten vier zentrale Punkte umgesetzt werden. Erstens: Die Etablierung klimaneutraler und zirkulärer Wertschöpfungsketten für Produkte der Grundstoffindus-trie. Zweitens: Verstärkte Anreize und adäquate Politikstrategien für nachhaltige Geschäftsfelder entlang der Wertschöpfungsketten. Drittens: Richtungssicherheit für umfangreiche Technologie- und Infrastrukturinvestitionen. Viertens: Integrierte Klima-, Energie- und Industriepolitik als zentraler Baustein des europäischen Green Deal.

Aber wie sieht so etwas konkret aus? Eine Reihe von Unternehmen zeigt bereits, wie man im laufenden Betrieb klimaneutral werden kann. Auch die Kleinen können dabei beispielhaft vorangehen. Eines davon ist Förster Kunststofftechnik, im Jahr 2000 in Bayern gegründet, wo im energieintensiven Spritzguss-Prozess gearbeitet wird. Bereits in die Planungen für den Bau der Produktions- und Lagerhalle hat man dort diverse Aspekte des Umweltschutzes mit einbezogen. 2002 wurde das Unternehmen erstmalig nach dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) zertifiziert. Förster Kunststofftechnik analysiert seinen Energieverbrauch, seine Emissionen und den Materialeinsatz des Betriebs, um die Einwirkungen auf die Umwelt möglichst gering zu halten und die Umweltbelastungen stetig zu verringern. Seit 2017 hat Förster Kunststofftechnik die rechnerische Klimaneutralität erreicht. Das Unternehmen mit 34 Mitarbeitern spart seitdem jedes Jahr 25 Tonnen CO2 mehr ein als es erzeugt. Das erzeugte CO2 stammt ausschließlich von den Firmenfahrzeugen. Über die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ und eine Photovoltaik-Anlage kann dieses mehr als kompensiert werden. Als neues Ziel hat sich das Unternehmen die tatsächliche Klimaneutralität gesetzt.

Bei der Industrie stehen zwar noch Schritte in ganz anderen Dimensionen an. Doch in der Wissenschaft zeigt man sich zuversichtlich: „Der Klimawandel ist neben der Digitalisierung der zentrale Innovationstreiber für die europäische Industrie“, betont Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut, „und somit nicht nur eine zentrale Herausforderung, sondern vor allem auch eine Chance.“

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