Roboter, Respekt und Reshoring

Die Logistik hat sich in den vergangenen Monaten rasant wie nie zuvor verändert, durch die Corona-Pandemie  wurden bestehende Trends massiv befeuert.
Illustration: Mario Parra
Illustration: Mario Parra
Axel Novak Redaktion

Stolz waren sie schon, die Trucker, die Handlingsagenten, die Disponenten und anderen Mitarbeiter:innen der beteiligten Logistikfirmen: Als im ersten Corona-Lockdown vergangenen Jahres eine Maschine aus Shanghai auf dem Flughafen in Frankfurt am Main aufsetzte, musste alles ganz schnell gehen. Es ging um Hilfsgüter für eine Kinderklinik in Polen.

 

Weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Flughafen Frankfurt richtig Gas gaben, konnten sie die Abfertigung beschleunigen: Binnen weniger Stunden war die Fracht ausgeladen, verzollt, verladen und noch am gleichen Tag wieder auf den Weg gebracht – im Normalfall ein Ding der Unmöglichkeit. Der anschließende Applaus in den sozialen Netzwerken tat den Beteiligten gut.

 

Dieses und andere Beispiele von Hilfstransporten in der schwierigen Corona-Pandemie zeigen: Es hat sich etwas verändert. Die Menschen, die bisher eher im Schatten einer boomenden Weltwirtschaft tätig waren, standen mit einem Mal im Rampenlicht. Statt auf die glitzernden Produkte in den Schaufenstern der Händler wurde mit einem Mal auf diejenigen geschaut, die unermüdlich dafür sorgen, dass Produkte überhaupt von einem Land ins nächste und von der Fabrik zum Kunden gebracht werden können: auf die Logistiker:innen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Wirtschaft am Laufen gehalten wurde und sich die sozialen Folgen zumindest in Grenzen hielten. Die neue Wertschätzung ist nur ein Anzeichen für die Veränderung, die die Logistik durch Corona erfahren hat.

 

Massive Störung im weltweiten Netzwerk

 

„Gut funktionierende Lieferketten und Logistik-netze spielen eine entscheidende Rolle, um die Welt am Laufen zu halten und die Globalisierung zu stabilisieren – insbesondere bei einer Pandemie, die alle Kontinente erfasst hat“, sagte John Pearson, CEO von DHL Express, als er den diesjährigen Index für globale Vernetzung GCI vorstellte. Die Pandemie hat nicht nur Millionen Menschen getötet, sondern auch die Wirtschaft massiv durcheinander gebracht. Auch wenn die globale Vernetzung weiterhin stark bleibt – und in diesem Jahr wieder zugenommen hat: Die gesellschaftliche Distanzierung, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen und zeitweiser Stillstand im Personenflugverkehr führten zu ambivalenten Extremsituationen.

 

In einigen Bereichen brachen Transportvolumina weg – zum Beispiel bei der Versorgung von Händlern und Gastronomen. Andere Bereiche verzeichneten ein extremes Wachstum – beispielsweise die Grundversorgung oder der Healthcare-Bereich. In einigen Logistikzentren stauten sich Waren, weil sie nicht mehr abgenommen wurden. Andere Unternehmen suchten händeringend Material. Statt Industriegüter brachten Lkw nun Lebensmittel und Hygieneprodukte in den Einzelhandel. Mitarbeiter:innen wechselten kurzfristig in andere Unternehmen, die einen enormen Bedarf hatten.

 

Vor allem die rasante Nutzung des Internets für die Beschaffung und Organisation von Einkäufen veränderte die Branche – bis hin zu den Beziehungen zwischen Unternehmen. „Online-Shopping und grenzüberschreitender Versand sind eine neue Normalität. Und das trifft nicht nur auf B2C-Händler, sondern auch für den B2B-E-Commerce zu, denn die Unternehmen haben erkannt, dass Online-Verkaufsplattformen entscheidend für ihren Geschäftserfolg sind – heute und in der Zukunft“, bestätigt Michiel Greeven, Executive Vice President Global Sales bei DHL Express. Daneben haben sich auch Abläufe und Prozesse massiv verändert. Das Homeoffice setzt voraus, dass die notwendigen Geräte und Softwaretools bereitstehen und funktionieren. Und mit einem Mal mussten Logistikfirmen, oft eher konservativ eingestellt, mit komplexer Software zurechtkommen, weil die Kunden längst digital unterwegs waren …

 

Digitalisierung hält Lieferketten aufrecht

 

Digitalisierung macht Lieferketten effizienter – und damit wirtschaftlicher. Durch mehr Effizienz können Unternehmen Einbrüche in den Kosten ihrer logistischen Netzwerke auffangen, gerade wenn – wie heute – Produktionsbereiche stillstehen oder ganze Automobilwerke von heute auf morgen nicht mehr mit Ware versorgt werden können.

 

Die Güterbahn DB Cargo betreibt beispielsweise einen sehr aufwendigen Einzelwagenverkehr: Auch einzelne Waggons oder Teilladungen werden in einem dichten Netzwerk aus Relationen und Routen wirtschaftlich und relativ zuverlässig transportiert. Voraussetzung für das Einzelwagennetz sind die regelmäßigen Ganzzüge, beispielsweise für die Autoindustrie. Fallen diese aus, kommt das gesamte Netzwerk in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Digitalisierung soll das Geschäft effizienter– und damit wirtschaftlich machen.

 

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Nicht unbedingt, weil die Digitalisierung so viel Effizienz schafft, sondern weil sich das Land ein weiteres Schrumpfen des nachhaltigeren Schienengüterverkehrs klimapolitisch nicht leisten kann. Ob wirtschaftlich oder nicht: Ohne die Bahn werden die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich nicht sinken. Auf diese politische Unterstützung muss der Rest der Branche verzichten.

 

Wachsende Unsicherheit in der Planung

 

Die Corona-Pandemie ist nicht das einzige Ereignis, das die Handelsströme durcheinander bringt. Brexit, politische Konflikte zwischen China und den USA, mit Russland oder der Türkei – all diese politischen Entscheidungen zwingen Unternehmen zum Handeln. Wenn in der Automobilindustrie heute neue Autos nicht verkauft werden, weil aus verschiedenen Gründen ein Stecker im Wert von 50 Cent nicht bereitsteht, dann müssen die Autobauer die Nachschubwege überdenken.

 

Reshoring oder Near Shoring – also die Verlagerung der Güterproduktion wieder in heimische Regionen – ist ein Thema, das deswegen diskutiert wird. Bis zu einem Viertel der globalen Lieferketten könnten bereits in den nächsten fünf Jahren global verlagert werden, haben die Forscher vom McKinsey Global Institute (MGI) für eine neue Studie festgestellt. Liefer- und Warenströme im Wert von bis zu 4,6 Billionen Dollar könnten neu gestaltet werden.

 

„Ob es tatsächlich zu dieser Verlagerung kommt, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab“, stellt McKinsey-Partner Knut Alicke fest. Die Kosten für die Produktionsverlagerung, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Umfang, Komplexität und Verflechtung der existierenden Lieferketten, aber auch nationale Förderpolitik sind solche Faktoren. Zum Beispiel im Pharmabereich könnten Deutschland und Europa die regionale Produktion von Wirkstoffen für die Herstellung von Pharmazeutika fordern und fördern. Auch könnte eine zunehmende Automatisierung der Produktion mehr Wertschöpfung aus China und Indien nach Europa bringen, beispielsweise im Automobil- oder Maschinenbau.

 

Doch es gibt auch Stimmen, die nicht an diese Verlagerung glauben. „Einige Unternehmen werden ihre Produktion in die Heimat oder deren geografische Nähe verlagern, aber wir erwarten insgesamt aktuell keine rasche und tiefgreifende strukturelle Verlagerung des Handels durch eine starke Relokalisierung – mit Ausnahme von strategischen Sektoren wie beispielsweise im Medizin- und Lebensmittelsektor“, sagt Ron van het Hof vom Kreditversicherer Euler Hermes. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Lieferketten und deren Unterbrechung während einer Krise in den Fokus geraten: Das war während der letzten drei Rezessionen immer ein heiß diskutiertes Thema, bei dem die meisten Beteiligten aber mehr reden, als im Anschluss tatsächlich handeln“, so van het Hof. Dennoch sei diese Diskussion über Lieferketten und Produktionsstandorte sehr wichtig, da sich die Unternehmen möglichst krisensicher aufstellen müssten. Für sie gehe es nicht nur um die Frage, wo Waren hergestellt würden. Sondern sie müssten ein neues Gleichgewicht finden – zwischen optimierten Lieferketten, minimalen Lagerbeständen und langfristiger Widerstandsfähigkeit.

 

Mehr Visibility oder Transparenz

 

Dabei hilft vor allem die bessere Transparenz von Lieferketten – auf allen Ebenen eine Flexibilisierung der Produktion an mehreren Standorten, die Aufstockung der Lagerbestände – und der Aufbau von eigenen und Zulieferkapazitäten. Auch das ist eng mit der Digitalisierung verknüpft: Von Visibility spricht man, wenn Unternehmen entlang der Lieferkette erkennen können, wo genau sich Fracht befindet – und vor allem, wann sie ankommt. Digitale Verfahren bieten immense Möglichkeiten für mehr Visibility, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger: Wer beispielsweise den Rhythmus von Bestellungen digital kontrolliert verändert, kann das Umlaufvermögen und die Time-to-Market-Zeiten reduzieren. Gleichzeitig steigt die Containerauslastung – was weitere Kosten senkt.

 

Durch Corona hat die Digitalisierung der Logistik einen enormen Aufschwung erfahren. Die Automatisierung von Umschlagzentren oder die Roboter in den Lagerhäusern sorgen dafür, dass die verfügbare Datenmenge rapide steigt. Doch Volumen alleine heißt nicht automatisch mehr Transparenz. Manche Branchenkenner sind davon überzeugt, dass viele Unternehmen schon heute zu viele Daten erheben und sammeln, ohne sie zu nutzen. Zum Beispiel, weil Daten aus dem Vertrieb nicht mit denen aus der Versandabteilung zusammengeführt und analysiert werden. Oder weil Standards fehlen, wenn Daten zur Auswertung zusammengeführt werden müssen.

 

Run auf Logistik-Berufe

 

Das wirkt sich sogar in einem Bereich aus, der vielen Logistikern Sorge macht: dem Nachwuchs. Die Pandemie und die zunehmende Volatilität am Markt haben den Wert von Logistik erneut vor Augen geführt. Die Branche ist auch für Arbeitskräfte attraktiver geworden, sogar erkennbar systemrelevant. Und das kann Vorteile haben, wenn Unternehmen auf dem leergefegten Ausbildungsmarkt nach Nachwuchs suchen. Zum Beispiel bei der IHK Schwaben, einem der großen Kammerbezirke in Deutschland. „In diesem Sommer haben wir so viele Prüflinge wie noch nie. 550 Auszubildende aus ganz Schwaben werden sich im Sommer 2021 in logistischen Ausbildungsberufen prüfen lassen“, sagt Martin Heger, Vorsitzender des Prüfungsausschusses der IHK Schwaben. Es scheint so, als habe sich etwas geändert: Wer früher einfach „was Cooles“ machen wollte, der denkt heute über einen Job in der Logistik nach.

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