Wind und Sonne für die Wende

Die Klimaziele stehen. Die Energiewende aber ist ins Stocken geraten – dabei ist sie dringender denn je.
Illustration: Patrick Suessle
Illustration: Patrick Suessle
Axel Novak Redaktion

Bei der Sitzung im Dorfkrug von Preddöhl im Nordwesten Brandenburgs geht es hoch her: Auswärtige Investoren wollen eine neue Photovoltaikanlage errichten. Mehr als 100 Hektar Ackerland sollen unter den schwarz schimmernden Panelen verschwinden. Das Problem: Die Anwohner sind dagegen. Sie machen sich Sorgen um das gute Land, das nun versiegelt werden soll, um Mäuse, die der Bussard nicht mehr sehen kann, den Wertverlust ihrer Häuser und um eine noch stärkere Abwanderung, weil nicht einmal mehr der Ackerbau bleibt, um die Jugend zu halten. Der Investor hält dagegen und verspricht eine saftige Gewerbesteuer für das Dorf. Als es zur Abstimmung kommt, hebt sich keine Hand für den Solarpark. Das Projekt wird zurückgezogen. Energiewende? Hier findet sie jedenfalls nicht statt.

Preddöhl, Döllen oder Mertensberg – in den Dörfern hat sich das Blatt gewendet. Und es sind keine zurückgebliebenen und unverbesserlichen Klimasünder, die sich gegen Solarparks stellen. Sondern viele Ländler befürchten einfach, erneut zurückzubleiben. „Sollen die in der Stadt doch erst mal auf ihre SUVs verzichten, bevor wir unsere Äcker unter ein Solarmodul legen oder verspargeln“, sagt ein Anwohner zornig.

Und tatsächlich: Wer durch Brandenburg fährt, trifft überall auf die hoch aufragenden Rotoren der Windkraftanlagen oder die schimmernden PV-Anlagen, die sich mancherorts über Kilometer entlang der Autobahnen ziehen.  Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist Brandenburg Ausbauland Nummer eins.

Energiewende zerreißt Dörfer

 

Und es kommt noch viel mehr. Denn der Abschied von fossilen Brennstoffen ist ein gigantisches Unterfangen, das mehr als die Dörfer Brandenburgs zu zerreißen droht.

Grundgedanke ist: Durch eine Verringerung der CO2-Emissionen werden Erderwärmung und Klimawandel begrenzt. Dafür müssen die Energiequellen auf erneuerbare Quellen umgestellt werden – und das bedeutet eine weitgehende Elektrifizierung von allen Sektoren wie Wärme, Verkehr oder Stromerzeugung.

Bis zum Jahr 2030 sollen 65 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gespeist werden. Und das bedeutet nicht nur einen weiteren gigantischen Ausbau von PV- oder Windkraftanlagen im ganzen Land. Sondern noch dazu die Umstellung einer industriellen Energiewirtschaft auf bislang nur wenig erforschte Verfahren wie zum Beispiel Wasserstoff.

Rechnerisch ist die Energiewende einfach: „Rund zwei Prozent der Landesfläche und die Dachflächen reichen aus, um Deutschlands Energieversorgung zum größten Teil mit Wind- und Solaranlagen zu decken“, schreibt Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Doch die Energiewende ist ins Stocken gekommen.

Während 2020 knapp 4,9 Gigawatt (GW) Photovoltaik installiert wurde, kamen nur 1,47 GW bei Windparks an Land hinzu – statt der notwendigen 4 GW. Die Onshore-Windenergie aber ist ein entscheidendes Element bei der künftigen nachhaltigen Stromversorgung. 2019 lag sie bei 53 Gigawatt, im Jahr 2045 sollten es 145 Gigawatt sein. „Dreh- und Angelpunkt für Wettbewerb in den Ausschreibungen sowie für den notwendigen deutlichen Anstieg beim Zubau bleiben die Bereitstellung von Flächen und die Genehmigung von Projekten“, sagt Hermann Albers, Präsident Bundesverband Windenergie (BWE). Das allerdings sind politische Aufgaben, die Landespolitiker vor allem in einem Wahljahr wie diesem fürchten.

Energieeffizienz? Wo denn?

 

Auch in anderen Feldern stockt der große Umbau, beispielsweise bei der Energieeffizienz. Die wird oft als schlafender Riese betrachtet, weil beispielsweise in Deutschlands Gebäuden ein beträchtliches Potenzial schlummert, um weniger Energie zu verbrauchen und CO2-Emissionen zu senken. Beim Betrieb von Gebäuden werden heute 47 Kilogramm CO2 je Quadratmeter emittiert. Durch neue Technik, Dämmen und andere intelligente Verfahren zur Energiesteuerung könnte der Wert auf ein Zehntel sinken. Allerdings zu hohen Kosten: Auf 80 bis 90 Milliarden Euro beziffern Fachleute die Kosten bis zum Jahr 2050, um allein den Berliner Bestand energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. Auch das ist eine politische Aufgabe, die es schwer hat im Wahljahr.
 

»Die Bundesregierung weiß, dass sie ihre Ziele an der Realität vorbei formuliert hat.«


Und schließlich der Ausbau der Leitungen und Netze, um die Energiequellen ins Netz zu integrieren und mit der immer stärker flexibel reagierenden Stromnachfrage volkswirtschaftlich effizient zusammenzubringen. Erst im Januar hat der Bundestag den neuen Bundesbedarfsplan zum Netzausbau verabschiedet. Durch den Bau von neuen Leitungen soll vor allem der in Norddeutschland produzierte Windstrom in die industrielle Zentren und den Süden der Republik transportiert werden. Knapp 7.700 Kilometer neue Stromtrassen sind angepeilt, bis zum Sommer 2020 waren rund 1.300 Kilometer fertiggestellt. Doch schon heute zeichnet sich ab, dass das Netz enger werden muss: Im Entwurf des Netzentwicklungsplanes bis 2035 (NEP 2035) stellen die Netzkonzerne einen Bedarf an bis zu 12.290 Kilometer neuer Leitungen fest.

„Die deutsche Politik bekennt sich klar zum Pariser Klimaabkommen und dem Europäischen Green Deal – und dabei implizit zu einem ambitionierteren Ausbau von Erneuerbaren Energien“, sagte Kerstin Maria Rippel vom Netzbetreiber 50Hertz in einem Gespräch mit der Agentur für Erneuerbare Energien, „es hapert jedoch mit der Umsetzung. Also bei den Schritten, die nach den großen Bekenntnissen kommen.“

Gut möglich, dass einer der Gründe dafür ist, dass die Bundesregierung weiß, dass sie ihre Ziele an der Realität vorbei formuliert hat. Sie geht davon aus, dass Effizienz und Sparsamkeit den Bruttostromverbrauch bis 2030 senken. „Energiewirtschaftliche Institute und andere Fachleute gehen von einem Anstieg des Bruttostromverbrauchs auf 740 TWh aus“, sagte Ursula Sladek, Ökostrompionier in der ersten Stunde und Mitbegründerin des Elektrizitätswerke Schönau (EWS) kürzlich in einem Interview.

Dieser gewaltige Unterschied macht bei der Berechnung der benötigten Energiequellen viele Quadratmeter PV- und Windkraftanlage aus. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass im brandenburgischen Preddöhl die Strompanele noch einmal auf den Tisch kommen. Zu möglicherweise besseren Bedingungen für die Dörfler.

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