Schlafender Riese

Dämmung, Einsparung, Steuerung – die Deutschen könnten viel weniger Energie verbrauchen, wenn sie wollten. Das Potenzial ist enorm.
Axel Novak Redaktion

Illustration: Johannes Fuchs

 

Bessere Energieerzeugung, bessere Industrieprozesse, weniger Konsum – so könnten die Gesellschaften der Industriestaaten ihren Energieeinsatz und CO2-Ausstoß massiv verringern.  


Sie gilt als schlafender Riese, die Energieeffizienz. Und die Zeit drängt: Der Weltklimarat zeigt, dass die Menschheit nur noch 420 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ausstoßen darf, wenn das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln erreicht werden soll. Das erscheint enorm. Doch emittiert derzeit die Menschheit pro Jahr rund 50 Milliarden Tonnen CO2.


Dabei ist es einigen Staaten gelungen, den Ausstoß von CO2 zu verringern. 905 Millionen Tonnen des Gases hat beispielsweise Deutschland 2017 freigesetzt, 4,7 Millionen weniger als 2016. Effizienteres Wirtschaften scheint sich auszuzahlen für ein Land, das jedes Jahr mehr Produkte und Dienstleistungen herstellt und exportiert. Doch der Schlüssel, um den Ausstoß von CO2 schnell und deutlich zu verringern, die Energieeffizienz, ist bislang zu wenig genutzt worden. Dabei ist sie die wichtigste noch unerschlossene Energiequelle in Deutschland.

 

Was ist effizient?

 

Die Energieeffizienz umschreibt nach Definition des Umweltbundesamtes das Verhältnis eines bestimmten Nutzens zu dessen Energieeinsatz: Wird zum Beispiel für Licht oder Wärme weniger Energie eingesetzt, ist das Produkt energieeffizienter. Wer die einzelnen Sektoren betrachtet, der sieht enormes Potenzial für mehr Effizienz. Im industriellen Bereich zum Beispiel: Wichtigster Energieträger der deutschen Industrie ist Gas mit einem Anteil von gut 27 Prozent, gefolgt von Strom und Mineralöl. Erneuerbare Energien spielen mit etwa drei Prozent in diesem Bereich nur eine untergeordnete Rolle, so das Bundeswirtschaftsministerium. Mehr Effizienz aber betrifft nicht nur die Erzeugung von Energie, sondern auch die Kraftstoffnutzung, zum Beispiel durch kombinierte Kraft-Wärme-Erzeugung.


Bei den industriellen Prozessen wiederum geht es auch um Technologien wie hocheffiziente elektrische Antriebe, Wärmepumpen, oder die Gebäudeautomatisierung. Während Maschinen und Prozesse energetisch weitgehend optimiert sind, sollen künftig Prozessketten und das energetische Zusammenspiel vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt effizienter gestaltet werden. Hier ermöglichen Energiemanagementsysteme in Verbindung mit dezentralen Energielösungen viel Flexibilität bei der Bereitstellung von Energie und bei der Nachfrage. Eine intelligente Lastverlagerung setzt eine immer stärkere Vernetzung von Erzeugung, Speicher und Verbrauch voraus – um die nachhaltigen und volatileren Energiequellen in den konstanten Bedarf der Industriegesellschaft einzubinden.


Effizienz in Gebäuden

 

Auch in den Gebäuden steckt viel Potenzial für den besseren Energieeinsatz: Im Gebäudebestand werden in Deutschland rund 35 Prozent der gesamten Endenergie verbraucht – und rund 30 Prozent der Treibhausgase in Deutschland ausgestoßen. „Die Art, wie wir wohnen und bauen, wirkt sich unmittelbar auf das Klima aus. Wenn wir unsere ambitionierten Klimaziele erreichen wollen, müssen wir auch im Gebäudebereich ansetzen“, hat Bundesbauminister Horst Seehofer erkannt.


Zwar wurde in die Energiesanierung investiert, und die Energieeffizienz der Wohngebäude ist bis 2012 kontinuierlich gestiegen. Im Neubau ist in den letzten Jahren viel geschehen. Doch seitdem werden nur noch Mehrfamilienhäuser effizienter, nicht  Einfamilienhäuser. Zudem sind fast zwei Drittel der Gebäude in Deutschland vor mehr als 40 Jahren errichtet worden. Sie genügen zum Teil längst nicht mehr modernen Standards.  Und der Widerstand gegen strengere Vorgaben wächst: Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes warnt bereits vor teurem Wohnungsbau durch strenge Energiestandards.


Und dann gibt es natürlich noch den Hebel, den Menschen am einfachsten bedienen können – der private Konsum. Hier sind hohe Effizienzsteigerung zum Beispiel bei vielen Elektrogeräten möglich. Klar, neue Geräte nutzen Strom effizienter. Die kontinuierliche Erneuerung der Geräte hat dazu geführt, dass der Stromverbrauch der Haushalte 2016 gegenüber 2008 um 7,9 Prozent gesunken ist. Doch es ist paradox: Geschirrspülmaschinen verbrauchten im Jahr 1990 im Schnitt 490 Kilowattstunden pro Jahr, heute sind es weniger als die Hälfte. Allerdings ist der Stromverbrauch für die Geschirrspüler in Deutschland insgesamt leicht gestiegen, weil immer mehr Menschen Geschirrspüler nutzen.


Besonders widersprüchlich wirkt das Thema Energieeffizienz im Verkehr: Im Schienenverkehr zum Beispiel sanken seit 1995 sowohl der spezifische wie der absolute Energieverbrauch. Pech für die Bahn: Der Anteil des Schienengüterverkehrs am Gesamtaufkommen ist in den vergangen Jahren gesunken. Auch auf der Straße haben moderne Fahrzeuge die alten Stinker abgelöst. Doch tatsächlich benötigten Lkw und Flugzeuge 2017 deutlich mehr Energie als noch 1995. Das Verkehrswachstum im Güter- und Personenverkehr hat die technischen Verbesserungen an den Fahr- und Flugzeugen längst kompensiert.

 

Anreize und Förderung

 

Energieeffizienz zu fördern und staatlich zu lenken ist schwierig. Ein ehrgeiziges Ziel mit verbindlichen politischen Vorgaben könnte den Weg zu mehr Effizienz unterstützen. Klare Investitionsanreize, zum Beispiel über öffentliche Förderprogramme oder Steuergutschriften, gehören dazu. Auch der Preis für CO2 ist ein wichtiges Element für die politische Steuerung. Während viele Fachleute davon ausgehen, dass dieser Preis für eine wirkliche Lenkungswirkung die echten Kosten erfassen soll, die mit Kohlenstoffemissionen verbunden sind, hat ihn die Bundesregierung mit zehn Euro pro Tonne niedrig angesetzt. Doch Beobachter trösten sich zumindest mit dem Signal, dass die Bundesregierung ausgesandt hat: Die Anerkennung der Tatsache, dass irgendwann einmal irgendetwas geschehen muss. Der schlafende Riese Energieeffizienz wird so sicher nicht geweckt. Aber möglicherweise etwas deutlicher wahrgenommen.

Nächster Artikel
Technologie
Mai 2023
Matthias Schulte-Huxel Board-Member von E-Parktower (links) und Manuel Huch CEO von E-Parktower (rechts)
Beitrag

»Wir sind die Gamechanger!«

E-Autos brauchen Ladeinfrastruktur – und Parkplätze, besonders in den Städten. E-Parktower löst das Problem mit automatisierten, vertikalen Ladeparks.

Technologie
April 2023
Illustration: Anke Schäfer
Redaktion

Lernende Systeme

Seit November 2022 ist die Debatte um die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz in eine neue Phase eingetreten. Die Die US-Firma OpenAI veröffentlichte ihren Chatbot ChatGPT. Eine (vorläufige) Bestandsaufnahme.