Die Welt ist nicht genug

Im geopolitischen Rennen zielen immer mehr Nationen auf den Weltraum. Es geht um Ruhm, Ehre, Profit – und um den technologischen Vorsprung.
Illustrationen: Jasmin Mietaschk
Illustrationen: Jasmin Mietaschk
Julia Thiem Redaktion

Ich kann mich an wenige Vorlesungen meines Studiums so gut erinnern, wie an die zur Geopolitik. Ich war damals für ein Auslandssemester an der Brunel University in London, und der Professor dort erklärte uns Studierenden, dass es mit dem Ende des kalten Krieges faktisch keine Geopolitik mehr gebe. Einzige Ausnahme: Weltraumbahnhöfe. Denn ihre geografische Lage hätte einen entscheidenden Einfluss auf die Beschleunigung und das Erreichen der gewünschten Umlaufbahn und sei damit von strategisch wichtiger Bedeutung. Die Vorlesung ist mir deshalb in Erinnerung geblieben, weil sich der Professor mit seiner damaligen Aussage täuschen sollte: Geopolitik spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle, wie wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen haben. Er sollte allerdings mit der besonderen Bedeutung von Weltraumbahnhöfen recht behalten.

 

Alle Welt schaut ins All

Der Weltraum übt eine besondere Faszination auf die Menschen aus. Mehr als 50 Jahre nach der ersten Mondlandung ist er immer noch völliges Neuland. Zwar gibt es immer wieder Missionen zu entfernten Planeten wie etwa dem Mars, deren Erfolg war aber bisher durch die technologischen Möglichkeiten eingeschränkt. Hier hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung stattgefunden. Bestes Beispiel: SpaceX. Das US-Raumfahrt- und Telekommunikationsunternehmen wurde 2002 mit dem Ziel gegründet, den Mars zu kolonisieren und die Menschheit auf das Leben auf anderen Planeten vorzubereiten.

 

Damals noch belächelt, tragen die dort entwickelten Technologien wie die Trägerrakete Falcon 9 oder das Spaceshuttle Dragon mittlerweile elementar zur Versorgung der Internationalen Raumstation ISS bei. Dabei gelingen dem Unternehmen immer wieder neue Durchbrüche, wie aktuell Ende April dieses Jahres, als erstmals für den Start eines Shuttles auch die Raketenstufe wiederverwendet wurde. Symbolisch malten die Astronauten ihre Initialen in die Rußschicht der Rakete, die alle schon einmal verwendeten Raketenstufen haben.

 

Beeindruckend ist darüber hinaus auch die Flugfrequenz von SpaceX: Drei Starts innerhalb von nicht einmal einem Jahr. Und diese Frequenz dürfte in Zukunft sogar noch zunehmen, weil SpaceX mittlerweile auch mehrere kommerzielle Flugverträge abgeschlossen hat – unter anderem mit Hollywood. Universal Pictures will auf der ISS einen Film drehen. Mit dabei: Der nicht altern wollende Action-Held Tom Cruise. Das Drehbuch steht wohl noch nicht fest, wohl aber das Budget: rund 200 Millionen US-Dollar.

 

Das Weltall rückt also zunehmend in greifbare Nähe und ein Flug mit einem Raumschiff muss keine Kindheitsfantasie mehr bleiben. Das unterstreicht auch das Interesse von Investoren, die sich durchaus schon mit den Anlagechancen solch aufstrebender Industrien befassen, wie Tony Kim, Fondsmanager des Blackrock Next Generation Technology Fund, verrät: „Wir finden aktuell unter den Fintechs, im Onlinehandel, bei 5G oder in sich ganz neu entwickelnden Industrien wie Raumfahrt spannende Investitionsziele. Dort könnte sich unser Engagement sogar noch ausweiten, wenn die technologische Disruption auch ganz neue Industrien wie die Raumfahrt weiter erschließt.“

 

Auf diese Disruption muss Kim vermutlich nicht einmal mehr lange warten, wie ein aktuell sehr hoch gehandeltes Start-up, eine Ausgründung aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), unterstreicht. Denn was das mittlerweile an der Frankfurter Börse gehandelte Unternehmen Mynaric plant, ist wohl der Inbegriff für Disruption: Laser, die große Mengen an Daten durch das All befördern. Vorstellen muss man sich das ganze wie eine Kette von Satelliten, die über Laserstrahlen Daten austauschen – in Weltall-Dimensionen, nämlich über Zehntausende von Kilometern hinweg. Auch ein Austausch mit der Erde oder Flugzeugen soll möglich sein. Auf jeden Fall ist die Technologie derart interessant, dass die Bundesregierung sogar ein Exportverbot nach China verhängt hat. Die Begründung: Es handle sich um eine geopolitische Schlüsseltechnologie.

 

Und mit dieser Einschätzung liegt die Bundesregierung vermutlich genau richtig. Denn mittlerweile ist ein regelrechtes technologisches Wettrüsten unter den Nationen entstanden. So haben China und Russland gerade verkündet, eine gemeinsame Raumstation entweder auf dem Mond oder in seiner Umlaufbahn einzurichten. Dabei betont die russische Weltraumagentur Roskosmos aber gleichzeitig, dass eine Beteiligung weiterer Staaten möglich und willkommen sei. Ziel des Projektes „International Scientific Lunar Station“ sei eine multidisziplinäre, aber auch Grundlagenforschung. Vermutlich ist die gemeinsame Erklärung von China und Russland eine Antwort auf die Ankündigung der USA, bereits 2024 wieder Menschen auf den Mond schicken zu wollen. Auch hier ist das erklärte langfristige Ziel, eine nachhaltige menschliche Präsenz auf dem Mond zu etablieren. Die NASA ist zwar federführend bei diesem Projekt, setzt aber auf die Unterstützung internationaler Partner, darunter auch die europäische Weltraumorganisationen ESA.

 

Es melden sich aber auch ganz andere Länder zu Wort, die jenseits der Exosphäre, der äußersten Schicht der Erdatmosphäre, einen Platz für sich beanspruchen wollen. So bauen die Vereinigten Arabischen Emirate mittlerweile ihr Raumfahrtprogramm weiter aus – unter anderem, um unabhängiger vom Erdöl zu werden. Vor zwei Jahren flog ihr erster Astronaut zur ISS, im letzten Jahr schickte der Golfstaat eine Raumsonde zum Mars. Sie soll das dortige Klima beobachten. Und mit Nora Al Matrooshi soll nun laut Aussagen von Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktum, dem Herrscher des Emirats Dubai, die erste weibliche Astronautin des Landes „den Namen der Vereinigten Arabischen Emirate in den Himmel heben.“ Geopolitik erobert das Weltall. Ihr Treiber sind neue, bahnbrechende Technologien. Ihr Ziel: technologische Vorherrschaft.

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