Die Plattform ist alles

Digitale und hochgradig disruptive Plattform-Modelle bestimmen das Innovationsgeschehen in jeder Branche – mit großen Chancen für die Industrie.
Illustration: Mario Parra
Illustration: Mario Parra
Mirko Heinemann Redaktion

Seit Jahren redet alle Welt darüber, nun kommt sie wirklich: die erste große Smartphone-Bezahllösung in Deutschland. Natürlich von der Alphabet-Tochter Google. Google Pay, das Ende Juni an den Start gegangen ist, funktioniert auf Basis des NFC-Standards, der Near Field Communication. Wer ein Smartphone besitzt, das diesen Standard unterstützt und als Betriebssystem mindestens Android 5.0 aufgespielt hat, kann sich bei Google Play die entsprechende App herunterladen. In Verbindung mit einer Kredit- oder Bankkarte und einem Konto kann es losgehen. Vorausgesetzt, der Händler ist bereits mit einem entsprechend ausgerüsteten Endgerät ausgestattet. Das erkennt der Kunde am NFC-Logo am Kartenscanner.

Bezahlt wird mit dem Smartphone. Es wird in die Nähe des Kartenscanners gehalten, bis ein grüner Haken auf dem Display aufleuchtet: bezahlt. Wer für weniger als 25 Euro einkauft, muss das Smartphone nicht einmal entsperren. Zu den ersten, die Google Pay unterstützen, gehören Aldi Süd, Lidl, Kaufland, Hornbach, MediaMarkt und Saturn sowie McDonald's. Andere digitale Bezahldienste gibt es bisher in Deutschland nicht, wo drei Viertel aller Einkäufe immer noch bar bezahlt werden. Vorerst unterstützt die Plattform Google Pay Konten der Commerzbank, comdirect, N26 oder Wirecard. Doch wen würde es wundern, wenn Google demnächst selbst das Bankgeschäft übernimmt.  

Die Plattform Google Pay führt noch einmal vor Augen, wie stark die Digitalisierung das Innovationsgeschehen bestimmt – und, wie disruptiv sie ist. Und zwar über jede Branche hinweg: Informationen, Handel, Reisen, Finanzen, Mobilität, Industrie und so weiter. Das Geschäftsmodell der Plattform scheint derzeit das attraktivste: Es basiert auf gängigen Technologien und ist schnell skalierbar. Dabei ist besonders erfolgreich, wer bereits eine große Community hinter sich geschart hat. So werden neben Google auch die Konkurrenten Apple, Amazon, Facebook, Alibaba und Twitter immer größer. So wirbt Airbnb der Reisebranche ihre Kunden ab, so mischt LinkedIn die Human Resources Branche auf. Nur die produzierende Industrie ist bisher weitgehend verschont geblieben. Die eine Plattform, sie alle zu bündeln – es gibt sie nicht. Noch nicht.

Die eine Plattform, sie alle zu bündeln

Was es hier aber gibt: die potenziellen Kunden. Das hat auch ein Berliner Start-up erkannt – und eine Plattform für Firmenwagen errichtet. Bisher mussten Mitarbeiter, die mit dem Firmenwagen unterwegs waren, Kilometerstände, Ziele und Zeiten manuell ins Fahrtenbuch eintragen. Nun übernimmt das der Computer. Bei Vimcar übermittelt ein Telematiksystem Fahrzeugdaten an eine zentrale Software. Der Fuhrparkleiter erhält ohne weiteres Zutun eine Dokumentation der betrieblichen Fahrzeugnutzung.

Was klingt wie ein erster Schritt, ist bereits ein großer Sprung in die Zukunft. Eine Lösung wie die von Vimcar könnte die Basis für eine ganze Reihe von Plattform-Anwendungen für das vernetzte Auto bilden. Zudem wird hier neben Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit auch das Problem Datenschutz gelöst, das als große Baustelle auf dem Weg zur vernetzten Mobilität gilt. Schließlich geht es, natürlich, um Steuertransparenz. Selbstständige, die ihr privates Fahrzeug dienstlich nutzen, Arbeitnehmer, die ein Dienstfahrzeug privat nutzen, Dienstreisende, die intermodal und international unterwegs sind – sie alle bewegen sich in einem undurchschaubaren Dickicht aus steuerlichen Regelungen, dessen Komplexität noch zunehmen wird.

Die Reisen werden länger, die Straßen voller. Immer mehr Dienstreisende steigen auf öffentliche Verkehrsmittel um. Wer in Europa unterwegs ist, möchte entspannt mit Bahn oder Flieger ankommen und am Flughafen in ein Dienstfahrzeug umsteigen. Das kann ein Auto oder auch ein öffentliches Verkehrsmittel sein. Oder ein Fahrrad. Mittelfristig wird an die Stelle des klassischen Dienstwagens eine intermodale Mobilitätslösung treten. Fehlt nur noch die Plattform.

Innovationen für die Industrie

Ähnlich ist es bei der Industrie. Die Kunden warten nur noch auf die richtige Lösung. Es sind hochgradig professionalisierte, in extrem hoher Qualität fertigende Unternehmen mit einem weltweit einzigen Know-how. Einzelne versuchen sich bereits selbst an der Erfindung von Plattform-Modellen, wie das Beispiel Kloeckner & Co zeigt: Der börsennotierte Stahlhändler hat für seine Branche eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickelt – auf einer Plattform. Die Liefer- und Leistungskette in der Stahlindustrie sei heutzutage „hochgradig ineffizient“, heißt es bei Klöckner. Viele Transaktionen würden noch per Telefon, Fax oder E-Mail abgewickelt.

Nun digitalisiert das Unternehmen seine Liefer- und Leistungsketten mit dem Ziel, eine internetbasierte Plattform für den Stahlhandel zu entwickeln. Mit einem durchgängig digitalen Order- und Produktionsmanagement möchte der Konzern hohe Lagerkosten abbauen sowie die Prozesskosten verringern. Um den Wandel des Geschäftsmodells möglichst innovativ zu gestalten, hat der Stahlhändler eigens ein Start-up-Unternehmen ins Leben gerufen: kloeckner.i, das in Berlin residiert. Schon im Jahr 2019 will Klöckner über die Hälfte des Konzernumsatzes online erzielen.
Aber was ist mit den produzierenden Unternehmen, dem Rückgrat des Wohlstands, die den Mittelstand zu einem bewunderten Symbol deutscher Technologieführerschaft machen? Für sie ist eigens der Begriff der Industrie 4.0 erschaffen worden: Er meint die Digitalisierung der Fertigungsanlagen, die Vernetzung der einzelnen Werkzeuge untereinander und mit den Einzelteilen die produziert werden. Sensoren an jedem Artikel und in jedem Prozessschritt schaffen die Verbindung zum IoT, zum Internet of Things und ermöglichen nicht nur eine stetige Optimierung der Fertigung, sondern ohne Mehrkosten individualisierte Endprodukte bis hin zur Losgröße Eins, dem Einzelstück.

Das Know-how ist da, die Plattformen ebenfalls, vielerorts fehlt nur der Mut zur Umsetzung. Industrie 4.0  ist nicht umsonst ein in Deutschland geprägter Begriff: Das Industrieland ist wie kein anderes dafür prädestiniert, in Sachen Digitalisierung der Industrie der Vorreiter zu sein. Dies ist eine echte Chance für die Europäer, die bisher nur zuschauen konnten, wie sich die amerikanischen Plattformen auf den heimischen Märkten durchsetzen.

Technologie
Dezember 2023
Illustration: Chiara Lanzieri
Redaktion

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