Gemeinsam gegen den Krebs

In der Onkologie ist vor allem die Arzt-Patienten-Beziehung von zentraler Bedeutung. Das gilt insbesondere für seltene Erkrankungen.
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

„Krebs. Diese Diagnose trifft einen wie einen Hammer, mitten im Leben. Sie ist ein riesiges Stoppschild und reißt einen abrupt und bis auf Weiteres komplett aus dem gewohnten Alltag raus.“ 36 Jahre alt ist die Frau, die im Netz in einem PatientInnen-Forum beschreibt, wie sie den Augenblick erlebt, in dem sie erfährt, dass sie am Hodgkin Lymphom leidet, einer seltenen, bösartigen Erkrankung des lymphatischen Systems. Der Weg bis zur Diagnose führt durch viele Arztpraxen. Unspezifische Symp-tome wie Erschöpfung, Rückenschmerzen oder geschwollene Lymphknoten lassen sie bis zuletzt an eine „nicht abklingende Virusinfektion“ denken. Im Diagnosegespräch sagt ihr die Fachärztin dann den Satz, der so wichtig ist, dass er sich auch unter Schock einprägt: „Das Ziel ist, Sie werden wieder gesund“. Eine Prognose, die sie erst später so richtig versteht und die Hoffnung gibt.

 

Was dann folgt, sind schwere Monate, die durch die Zyklen der Chemotherapie geprägt sind. Die Krankheit ist eine existenzielle Erfahrung, die auch „die Chance birgt, neu zu lernen, das Leben intensiver zu leben“, schreibt die junge Frau kurz vor ihrem Wiedereinstieg in den Beruf. Auch die stärkende Kommunikation mit den Ärztinnen und Ärzten habe während der Therapie eine wichtige Rolle gespielt. Studien zufolge halten sich PatientInnen mehr als doppelt so häufig an Empfehlungen, wenn Ärztinnen oder Ärzte gut kommunizieren können und dies bestenfalls sogar in einer extra Fortbildung gelernt haben.

 

Orphan Diseases, seltene Erkrankungen, gelten als Waisenkinder der Medizin, weil die Anzahl derjenigen, die an den einzelnen Krankheiten leiden, oft verschwindend gering ist. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Das macht es zunächst schon einmal ziemlich schwer, die richtige Diagnose zu stellen. Für viele seltene Erkrankungen gibt es außerdem keine standardisierten Therapieempfehlungen und das Interesse an der Entwicklung von Medikamenten ist angesichts des zahlenmäßig geringen Bedarfs oft eher gering. Genug Teilnehmende für Zulassungsstudien zu finden, gilt ebenfalls als eher schwierig. Orphan Diseases haben bei Krebserkrankungen sogar einen Anteil von etwa 20 Prozent.

 

Weichteilsarkome, bösartige Tumoren des Lymphsystems wie eben Morbus Hodgkin, Schilddrüsen- oder Kehlkopfkrebs, Speiseröhrenkarzinome und etliche Formen von Blutkrebs gehören dazu sowie fast alle Krebserkrankungen bei Kindern. Seit 2013 gibt es ein Register zu seltenen Tumoren in der Pädiatrie, das durch die Auswertung von Daten zu Therapie und Diagnostik durch ein internationales Team aus unterschiedlichen Fachdisziplinen die Behandlungschancen von betroffenen Kindern und Jugendlichen verbessern soll.

 

„Die Beziehung der Patient:innen zum behandelnden Arzt oder der Ärztin ist in der Onkologie nicht nur deshalb zentral, weil Krebserkrankungen oft besonders schwerwiegend und intensiv sind“, sagt Dr. Madlen Jentzsch, Ärztin an der Medizinischen Klinik I für Hämatologie und Zelltherapie des Universi-tätsklinikums Leipzig. „Ein positiver Aspekt unserer Arbeit ist, dass Krebserkrankungen zunehmend zu chronischen Erkrankungen werden. Das heißt, Patienten und Patientinnen versterben nicht mehr innerhalb weniger Wochen oder Monate, sondern können oft ihr Leben deutlich verlängern. Wir begleiten sie dann dabei so gut wie möglich, mit ihrer Erkrankung zu leben. Und auch da ist es natürlich enorm wichtig, dass sie Vertrauen zu uns haben.“ Gelingt die Kommunikation, kann das dazu beitragen, die Lebensqualität der Erkrankten zu erhöhen und die persönliche Handlungsfähigkeit ein Stück weit wieder zurückzugewinnen. Denn gerade auch das Gefühl „ausgeliefert zu sein“ macht Patientinnen und Patienten zu schaffen. Auf einmal gibt es so viele Untersuchungen, die natürlich notwendig sind, um die Erkrankten nicht zu gefährden. Dabei bräuchte die Psyche deutlich mehr Zeit, um zu verarbeiten, dass eine so ernsthafte Erkrankung plötzlich das Bild erschüttert, das die Betroffenen bisher vom eigenen Leben hatten.

 

Ärztinnen und Ärzte sollen auch in einer so schwierigen Situation Vertrauen gewinnen. Doch was ist, wenn sie kaum auf medizinische Erfahrungen zurückgreifen können, weil die Erkrankung eben selten ist? Inzwischen können sie in so einem Fall gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin abklären, ob es möglich ist, sich an einem spezialisierten Zentrum therapieren zu lassen, beispielsweise an einem Krankenhaus, das sich durch besondere Erfahrung mit Patientinnen oder Patienten in der gleichen Situation auszeichnet. Informationen dazu gibt es beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) oder über den se-Atlas, eine interaktive Landkarte, über die Menschen mit seltenen Erkrankungen deutschlandweit nach Versorgungseinrichtungen und Expertenzentren suchen können.

 

Bei der Behandlung kommt es auch darauf an, mehr Transparenz zu schaffen, sagt Madlen Jentzsch. „Natürlich ist es immer wieder notwendig, auf Werte und Bilder zu schauen, aber es ist auch wichtig, dass Patient:innen dabei so eingebunden werden, dass sie verstehen, was das Wichtige daran ist und vielleicht sogar die Werte interpretieren können.“ Zu einer guten Kommunikation gehört das Bemühen, Verständnis zu wecken für die Erkrankung und über den Therapieverlauf aufzuklären, über Symptome und über die möglichen Nebenwirkungen von Medikamenten.

 

Das Ausmaß der psychischen Belastung durch eine Krebserkrankung wird oft erst sichtbar, wenn die Therapie mehr oder weniger abgeschlossen ist. Gerade Menschen mit Orphan Diseases vermissen oft den Austausch mit Menschen in ähnlicher Situation. Deshalb ist es so wichtig, die Psychoonkologie möglichst frühzeitig mit einzubinden. Jedem an Krebs Erkrankten steht eine bedarfsabhängige psychoonkologische Versorgung zu, die neben Beratung auch Angebote zu Entspannungsverfahren wie Progressive Muskelentspannung, Therapien zum Umgang mit Ängsten oder Depressionen, Physio-, Bewegungs- und Kunsttherapien umfasst.

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