Innovationstreiber Corona

Die Redaktion befragt Akteure zu den Herausforderungen in ihren Fachbereichen
März 2021 Die Zeit Zukunft Medizin

»Die Digitalisierung birgt riesige Potenziale.«

Achim Berg Präsident Bitkom

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens geht es voran: In den letzten Monaten wurde politisch mehr auf den Weg gebracht als in den 20 Jahren zuvor. Seit kurzem verschreiben Ärzte Gesundheits-Apps auf Kassenkosten, Video-Sprechstunden werden in der Pandemie häufiger genutzt und die elektronische Patientenakte ist auch in Deutschland gestartet. Eine ganze Reihe neuer Digitalisierungsgesetze im Gesundheitsbereich beenden das analoge Zeitalter der Medizin und starten das digitale Zeitalter. Damit beginnt eine neue Gesundheitsvorsorge und präventive Individualmedizin, bei der jeder Patient Dank Technologien wie Künstliche Intelligenz und Big Data die beste medizinische und auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Versorgung erhält, die es je gab.

 

Doch so verheißungsvoll die Zukunft ist, so schonungslos wurden und werden jetzt in der Corona-Pandemie unsere digitalen Defizite im Gesundheitssystem offengelegt: In vielen Gesundheitsämtern sehen wir zu wenig Vernetzung und digitale Meldewege bei der Nachverfolgung von Infektionsketten, die Vereinbarung von Impfter-minen ist oft holprig gestartet. Dabei ließe sich das Corona-Virus digital deutlich leichter bekämpfen, zum Beispiel mit Datenplattformen, einer bundesweit einheitlichen digitalen Organisation von Impfterminen und einer Corona-Warn-App, deren Möglichkeiten besser ausgeschöpft werden. Die Digitalisierung birgt für die Medizin riesige Potenziale: Jetzt gilt es, die im letzten Jahr eingetretenen Pfade zu verlassen und die Pandemie nicht nur mit traditionellen sondern vor allem auch mit sämtlichen digitalen Mitteln entschieden zu bekämpfen.

www.bitkom.org

März 2021 Die Zeit Zukunft Medizin

»Wir müssen die Krise als Innovationstreiber nutzen.«

Dr. Marc-Pierre Möll Geschäftsführer Bundesverband Medizintechnologie – BVMed

Die Medizintechnik-Branche ist ein bedeutender Teil der Gesundheitswirtschaft. Sie gilt als besonders innovativ, wachstumsstark und zukunftsträchtig. Medizinprodukte umfassen eine große Bandbreite von medizintechnischen Produkten und Verfahren, die Leben retten, heilen helfen und die Lebensqualität der Menschen verbessern. Der medizintechnische Fortschritt war in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewaltig. Medizintechnik ist Innovationstreiber. Aber die Branche hat aktuell mit vielen Hürden zu kämpfen. Das liegt zum einen an stetig steigenden regulatorischen Anforderungen wie durch die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung, zum anderen an den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Denn nicht nur die Patient:innen, auch unsere Unternehmen leiden beispielsweise unter der Verschiebung planbarer Operationen.

 

Was ist zu tun? Wir müssen die Krise als Innovationstreiber nutzen. Zur Abmilderung der Krisenschäden in der Wirtschaft wurden in kürzester Zeit bürokratische Erleichterungen beschlossen und sehr praktikable digitale Lösungen ermöglicht. Die Erleichterungen für die Wirtschaft, die sich als wirksam erwiesen haben, sollten nach der Krise beibehalten und sogar ausgeweitet werden. Wir brauchen eine Entbürokratisierungsoffensive durch digitale Lösungen. Die inzwischen überbordende Bürokratie und Reglementierung sollte jetzt insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden. Wir brauchen einen Geist der Freiheit, der Unternehmertum und Kreativität fördert. Wir sollten die Krise dazu nutzen, Auflagen und Einschränkungen zu reduzieren, praktikabler zu gestalten oder wo möglich ganz abzuschaffen. Digitalisierung und bessere Datennutzung können hier helfen.

 

Wir wollen dazu einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über die Bedeutung des MedTech-Standorts Deutschland führen: damit sich Medizintechnik zu einer Leitbranche entwickeln kann, die Patientenversorgung verbessert und Arbeitsplätze schafft.

www.bvmed.de

März 2021 Die Zeit Zukunft Medizin

»Forschung ist die beste Medizin.«

Han Steutel Präsident Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)

Corona hat den Blick auf Gesundheit und auf medizinischen Fortschritt verändert. Das Virus zeigt nachdrücklich, wie wichtig Pharma-Forschung ist. Entscheidend für die beste Medizin von morgen sind auch Digitalisierung und die europäische Vernetzung der Forschung. Gesundheitsminister Jens Spahn hat dafür bereits einiges angestoßen. Von der App auf Rezept, über einen europäischen Datenraum bis hin zur Verwendung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Doch genau hier springen wir viel zu kurz. Ausgerechnet die private Forschung hat in Deutschland bisher kein Antragsrecht beim geplanten Forschungsdatenzentrum.

 

Rund 90 Prozent der hierzulande durchgeführten Studien sind von der Industrie initiiert; über 17.000 ForscherInnen in der Pharmaindustrie arbeiten jeden Tag an neuen und besseren Therapien. Das klingt viel und ist es auch. Aber trotzdem liegen wir im Bereich klinischer Forschung in Europa nur noch auf dem dritten und weltweit auf dem fünften Platz. Worauf wollen wir warten? Dass wir noch weiter nach unten rutschen? Ein Hebel, um das zu verhindern, ist der Zugang zu Daten.

 

Mit strukturiert vorliegenden Gesundheitsdaten können wir klinische Forschung beschleunigen – etwa mit virtuell simulierten Kontrollgruppen. Das ermöglicht kleinere Studien, bei denen alle Probanden nur die neue und womöglich bessere Therapie erhalten. Das nützt Patient:innen konkret. Und es spart Zeit sowie Kosten.

 

Damit Spitzenforschung in Zukunft in Deutschland und Europa möglich ist, müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen. Die hohen EU-Standards beim Datenschutz sind hierfür jedenfalls kein Hindernis: Für Forscher:innen der Pharma-Unternehmen sind anonymisierte und aggregierte Patientendaten der Schlüssel. Nutzen wir ihn, denn Forschung ist die beste Medizin!

www.vfa.de