Erprobtes im unsicheren Umfeld

Da es noch keine spezifischen Medikamente gegen Covid-19 gibt, setzen Ärzte derzeit vor allem auf bereits erprobte Wirkstoffe.
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Sabine Philipp Redaktion

Bei einer Pandemie zählt jeder Tag. Viel Zeit für die Entwicklung neuer Arzneimittel bleibt da nicht. Aus diesem Grund greifen Ärzte während der Corona-Krise auf Medikamente zurück, die bereits für andere Krankheiten (Indikationen) zugelassen sind und von denen sie sich einen gewissen Effekt versprechen.

 

Das können zum Beispiel Medikamente sein, die gegen ähnliche Virenstämme wirken, aber auch Wirkstoffe, die derzeit für ganz andere Krankheiten eingesetzt werden. Experten sprechen hier von Repurposing, auf Deutsch: Umnutzung. „Bei diesen Medikamenten sind die klinischen Untersuchungen abgeschlossen, d.h., dass ihre Wirksamkeit, ihre Sicherheit und auch die Nebenwirkungen bereits geprüft wurden“, erklärt Prof. Dr. med. Hans-Georg Kräusslich, Leiter der Abteilung Virologie am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg sowie Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Ein Medikament ganz neu zu entwickeln dauert im Vergleich dazu mehrere Jahre.

 

Das DZIF ist eines von derzeit sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG). Diese haben die Aufgabe, die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zu großen Volkskrankheiten (wie beispielsweise Diabetes, Krebs oder Infektionskrankheiten) in die klinische Anwendung zu bringen. Sie werden unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Im DZIF werden Untersuchungen zum Repurposing von Medikamenten gegen SARS-CoV-2 durchgeführt, darüber hinaus koordiniert das DZIF gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) eine groß angelegte internationale Studie, in der potenziell gegen SARS-CoV-2 wirksame Medikamente klinisch getestet werden.

 

Der Verlauf bestimmt die Medikation

 

Welche Art von Wirkstoff bei der Behandlung von Covid-19 zum Einsatz kommt, hängt vom jeweiligen Krankheitsstadium ab. Dazu muss man sich den Verlauf einer Virusinfektion anschauen. „Zu Beginn der Erkrankung vermehrt sich der Erreger sehr stark“, erläutert Kräusslich. Aus diesem Grund sind Medikamente, die die Virusvermehrung unterdrücken, in diesem Stadium am wirksamsten. Dahinter steht auch die Überlegung, dass das Immunsystem die Krankheit besser in Schach halten kann, wenn es nur einer geringen Zahl von Erregern gegenübersteht.

 

„Im späteren Verlauf stehen dann vor allem Symptome im Vordergrund, die durch die Reaktion des Immunsystems auf den Erreger verursacht werden“, so Kräusslich. Eine solche Reaktion kann darin bestehen, dass das Immunsystem überreagiert und auch gesunde Lungenzellen attackiert. In solchen Fällen arbeiten Mediziner mit sogenannten immunmodulatorischen Medikamenten. Diese sollen das Immunsystem beeinflussen, indem sie es zum Beispiel abschwächen. Ein Medikament, das dabei zum Einsatz kommt, ist Dexamethason. Es wird ansonsten unter anderem bei schweren Entzündungen zum Beispiel der Haut oder der Gelenke verschrieben.

 

Darüber hinaus kommen Blutverdünner zum Einsatz. „Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass Covid-19-Patienten sehr häufig Gerinnungsstörungen entwickeln, was für eine Lungenerkrankung sehr ungewöhnlich ist“, erläutert Kräusslich. Diese Gerinnsel können die Lungengefäße verstopfen und in der Folge die Sauerstoffversorgung des Körpers behindern. Die Behandlung mit dem Gerinnungshemmer Heparin wurde bereits in die Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit Covid-19“ aufgenommen.

 

Einige Kliniken arbeiten zudem mit verschiedenen Antikörper-Therapien. Ziel dieser Therapien ist es, infektiöses SARS-CoV-2 in der Frühphase der Infektion zu hemmen, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Körper noch keine eigenen Antikörper gebildet hat. Die Produktion dieser Antikörper ist jedoch aufwendig und der Einsatz nicht zu jedem Zeitpunkt sinnvoll. So gibt es Hinweise, dass einige Antikörper-Wirkstoffe bei Patient:innen, die sich in einem späteren Stadium befinden und unter einem starken Verlauf leiden, zu einer Überreaktion des Immunsystems führen können.

 

Parallel zu den Repurposing-Vorhaben läuft die Erforschung von neuen Wirkstoffen, die sich direkt gegen das Virus richten, auf Hochtouren. Kräusslich zufolge gibt es bereits aussichtsreiche Kandidaten, die bestimmte Funktionen des Sars-CoV-2-Virus im Laborversuch hemmen können und sich möglicherweise als Wirkstoff eignen. „Wir befinden uns aber noch in einer sehr frühen Phase und sind noch einige Zeit von einer klinischen Prüfung entfernt.“

 

Auch bei der Behandlung der Langzeitfolgen steht man erst am Anfang. Einige Patient:innen leiden noch Monate nach der Erkrankung an Symptomen, wie dem Verlust des Geruchssinns oder an einer eingeschränkten Lungenfunktion. Dieser sogenannte „Long Covid“ kann selbst nach leichten Krankheitsverläufen auftreten.

 

Bundesweit beschäftigen sich Post-Covid-19-Ambulanzen mit dem Phänomen. Kräusslich zufolge ist es aber noch viel zu früh, um verlässliche Aussagen machen zu können. „Wir kennen weder die Auslöser noch wissen wir, welche Personengruppen besonders stark betroffen sind.“

 

Im Laufe des nächsten Jahres, so hofft er, werde es mehr Erkenntnisse geben. „Eine Therapie würde dann wahrscheinlich so aussehen, dass man Risikopatienten möglichst im akuten Stadium der Infektion intensiv medikamentös behandelt, damit sie erst gar keine Langzeitfolgen entwickeln“, kommentiert Kräusslich.  Auch nach der Corona-Krise ist die Gefahr einer neuen Pandemie nicht gebannt. Um dann besser vorbereitet zu sein, gibt es im DZIF und seinen Partnern Überlegungen, eine Allianz einzurichten, die möglichst breit agierende Wirkstoffe gegen diejenigen Erregerklassen erforscht und entwickelt, die möglicherweise die nächste Pandemie auslösen könnten. Denn dass irgendwann eine neue Pandemie auftreten wird, gilt unter Forschern als sicher.

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