KI made in Europe

Europa gilt als abgehängt im Bereich Künstliche Intelligenz. Doch ist die Lage wirklich so dramatisch?
Illustration: Wyn Tiedmers
Klaus Lüber Redaktion

Man nehme eine Branche, von der gesagt wird, die Digitalisierung würde sie in nicht allzu langer Zeit vollkommen verändern – etwa den Finanzbereich oder das Gesundheitswesen. Dann arbeite man sich so lange in die komplexen Marktstrukturen ein, bis man fähig ist, nicht nur ein Unternehmen, sondern ein ganzes Netzwerk von Unternehmen zu gründen und behutsam aufzubauen.


Genau das ist der Ansatz von Ioniq, einem Unternehmen aus Berlin, das bereits zwei solcher Netzwerke ins Leben gerufen hat. 2014 wurde Finleap gegründet, Europas aktuell führendes Fintech-Ökosystem, Heartbeat Labs soll als Pendant im Bereich Digital Health aufgebaut werden. Besonders interessant dabei ist, wie CEO Dr. Johannes Keienburg die Mission seines Unternehmens beschreibt. „Wir wollen das alles aus Europa heraus aufbauen. Europa hatte schon immer starke Unternehmer und Ingenieure, die sich leidenschaftlich in die erfolgskritischen Details ihrer Branche eingearbeitet haben. Wir machen diese Qualitäten auch für das Digitalzeitalter nutzbar.“


Damit scheint der Unternehmer Keienburg etwas in die Praxis umzusetzen, was Experten und Politiker in Theorie schon seit geraumer Zeit fordern. Europa müsse sich endlich auf seine Stärken besinnen und dürfe sich nicht abhängen lassen von großen Playern wie den USA und China, die mit ihren Digitalfirmen den Weltmarkt quasi unter sich aufteilen. Von den acht größten Playern, Google, Facebook, Microsoft, Amazon, Apple, Baidu, Alibaba, Tencent, stammten fünf aus den USA und drei aus China. Kein europäisches Unternehmen kommt nur annähernd auf denselben Level.


„Wir Europäer haben definitiv Aufholbedarf, was die kommerzielle Umsetzung technologischer Erfindungen angeht“, fasst die frühere EU-Kommissarin Viviane Reding die Lage zusammen. Und das, obwohl wir über eine starke Forschung und gute Ausbildung verfügen. Die Hauptschwierigkeit sieht sie in der enormen Fragementierung des europäischen Wirtschaftsraumes. „Es gibt keinen wirklich einheitlichen Markt für europäische Zukunftstechnologien.“


Dabei gibt es durchaus vielversprechende Versuche, dies zu ändern. Einer davon ist die Inititaive J.E.D.I. (Joint European Disruptive Initiative), ein Netzwerk aus Unternehmen, Forschungsinstitutionen und staatsnahen Organisationen, mit dem Ziel, Europa im Bereich Zukunftstechnologien auf die Sprünge zu helfen. „Dazu gehört natürlich, dass wir die maßgeblichen Bedingungen dafür verbessern, innerhalb Europas an einem Strang ziehen zu können“, so André Loesekrug-Pietri, Gründer der Initiative. Der erste Schritt dafür scheint getan, 19 europäische Länder umfasst J.E.D.I. inzwischen, 3.500 Akteure wirken mit, darunter namhafte CEOs vieler Tech-Unternehmen.


Und wer nach wie vor glaubt, China wäre uns schon heute haushoch überlegen, den kann zum Beispiel Kristin Shi-Kupfer eines Besseren belehren. Laut Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft und Medien des Mercator Instituts for China Studies (MERICS), sei weder das chinesische Innovationssystem so effizient, wie es scheint, noch das Land im Bereich echter, zukunftsweisender Innovation besonders weit fortgeschritten. „Alle sprechen gerade von der hohen chinesischen Innovationsdynamik im Bereich KI. Das mag für den anwendungsbezogenen Teilbereich Machine Learning vielleicht stimmen. Aber für den Bereich der KI-Grundlagenforschung, bei der es darum geht, neue Wissenssysteme zu generieren und unterschiedliche heterogene Daten zusammenzuführen, sind die USA und eben Europa weiterhin Weltspitze.“

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